Fehlender Vorsatz, Nachtatverhalten, Revision, Urteil BGH

Fehlender Vorsatz

Das Thema „fehlender Vorsatz “ wurde in 1. Instanz vom Landgericht Dortmund zugunsten des Angeklagten nicht berücksichtigt, ebensowenig wie das Nachtatverhalten des Angeklagten, so dass die Revision erfolgreich war. Der BGH hat insoweit festgestellt, dass sich die aus dem Sachverhalt ergebenden Zweifel am Vorsatz zur Tötung bzw. ein fehlender Vorsatz zur Tötung und das Nachtatverhalten nicht ausreichend gewürdigt worden waren.

Rechtsanwalt Reissenberger vertrat den Angeklagten in der 1. Instanz vor dem Schwurgericht. Der Angeklagte wurden wegen Totschlags verurteilt. Die von RA Reissenberger eingelegte, Revision führte zum Erfolg. In der mündlichen Verhandlung vor dem BGH konnte erreicht werden, dass die Verurteilung wegen Totschlags mangels Vorsatzes aufgehoben worden ist. Die Sache wurde zur neuerlichen Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen. Hier nun das vom Anwalt erwirkte Revisionsurteil:

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

-4 StR 489/06

URTEIL

VOM

18. Januar 2007

in der Strafsache
gegen …
aus Lünen, geboren am …  in … Lüdinghausen, zurzeit in Haft,
wegen Totschlags
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Januar 2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof

Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Dr. Ernemann
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost‐Scheible,


Rechtsanwalt Sven Reissenberger aus Dortmund
als Verteidiger,
für Recht erkannt:

 

  1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 9. Januar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels. an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der Strafen aus zwei früheren Verurteilungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt; ferner hat es im Adhäsionsverfahren den Erben des Tatopfers dem Grunde nach einen Schmerzensgeldanspruch gegen den Angeklagten zuerkannt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er des Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Das Landgericht hat festgestellt:
Opfer des Tötungsgeschehens war der zur Tatzeit 20-jährige Sohn der …, mit der der Angeklagte seit Anfang Mai 2005 eine Beziehung eingegangen war. Am Tattage, den der Angeklagte … und dessen … weitgehend gemeinsam verbrachten, kam es wiederholt zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen …  und seiner Mutter‚ in die der Angeklagte zunächst beschwichtigend eingriff, im Verlauf eines dieser Streitgespräche zog … einen metallenen Teleskopstab heraus und drohte damit „wer etwas wolle, könne kommen“.

Die Streitigkeiten zwischen … und seiner … setzten sich auch am Abend in deren Wohnung fort. Dabei griff … seine Mutter nunmehr auch tätlich an, worauf der Angeklagte ihn zur Seite stieß. Darauf begannen sich … und der ihm körperlich weit unterlegene Angeklagte, die inzwischen am Esstisch im Wohnzimmer Platz genommen hatten, miteinander zu streiten, wobei … mehrfach aus dem Sitzen heraus mit der Hand oder Faust in Richtung des Angeklagten schlug, der jedoch jedes Mal ausweichen konnte.

Nunmehr drohte der Angeklagte, der ein Springmesser mit 8,5 cm langer Klinge bei sich führte, dem späteren Tatopfer damit, er werde ihm „wenn er nicht aufhöre, ein Messer in den Kopf hauen“.

Aus Zorn über das Verhalten des … ihm und dessen Mutter gegenüber versetzte der Angeklagte dem Geschädigten mit dem Messer einen wuchtigen Stich in dessen linke obere Brust, wobei er das Messer von oben nach unten führte und es zunächst stecken ließ.

… erlitt infolge des Stiche eine Lungenverletzung und eine Öffnung der Intercostalarterie, was zu einem raschen und erheblichen Blutverlust in die Brusthöhle hinein führte; er wurde „fast unmittelbar aktionsunfähig“ und ging zu Boden. Möglicherweise stützte ihn dabei der Angeklagte, den sein Handeln im Zorn sofort reute und der deshalb versuchte, den Blutaustritt durch Aufdrücken eines Handtuchs zu stillen.

Die über Notruf benachrichtigte Polizei sowie Rettungsdienst und Notarzt traten den Angeklagten kniend neben dem Opfer an. Die ihm tatzeitnah entnommene Blutprobe ergab für den Tatzeitpunkt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 3,1 ‰.

Nach Einschätzung der Tatortbeamten als auch des Arztes bei der Blutentnahme erschien der Angeklagte zwar alkoholisiert, wies aber keine alkoholtypischen Ausfallerscheinungen auf.

Insbesondere stellt es einen durchgreifenden Rechtsmangel dar, dass das Landgericht dem Angeklagten zwar im Rahmen der Strafzumessung zugute hält, dass ihn die Tat unmittelbar reute und er sich darum bemüht hat, seinem Opfer durch Stillung der Blutung zu helfen, es dieses Nachtatverhalten aber nicht bei der Prüfung des Tötungsvorsatzes erörtert. Dieses Nachtatverhalten, durch das sich der Angeklagte im unmittelbaren Anschluss an den Messerstich bemühte … zu retten, konnte schon für sich Zweifel daran begründen, dass der Angeklagte bei der Tat dessen Tod erkannt und billigend hingenommen hat (BGH NStZ 2006; 169; BGHR StGB § 15 Vorsatz, bedingter 11).

 

Gegen die Annahme des Schwurgerichts, dem Angeklagten sei der Tod des … „mindestens gleichgültig“ gewesen, kann zudem auch die Reaktion des Angeklagten bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung am Tag nach der Tat deuten; auf die Mitteilung, … sei verstorben‚ stammelte er, er sei kein Mörder, und brach in Tränen aus, worauf die Vernehmung abgebrochen werden musste.

Zwar kann ein solches Nachtatverhalten immer auch bloßer Ausdruck einer spontanen Ernüchterung des Täters sein, der sich angesichts der sichtbaren Tatfolgen der Verantwortung für seine Tat entziehen will.

 

Abgesehen davon, dass das Schwurgericht darauf bei der Beweiswürdigung zur inneren Tatseite aber nicht abgestellt hat, bedürfte eine solche Annahme sorgfältiger Prüfung unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes, an der es hier gerade fehlt.
Hinzu kommt, dass der Angeklagte infolge seiner hochgradigen Alkoholisierung in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB „sicher“ erheblich vermindert war und er in diesem Zustand durch das Verhalten des zum Zorn gereizt im Sinne des § 213 1. Alt. StGB auf der Stelle zu der Tat hingerissen wurde (UA 33). Schon die damit vom Schwurgericht selbst angenommene tatauslösende effektive Erregung des Angeklagten konnte auch Einfluss auf dessen Vorstellungsbild über die möglichen Folgen seines Tuns, zumindest aber auf das Billigungselement das Vorsatzes gewinnen (vgl. BGH NStZ 2006, 169). Auch damit setzt sich das Landgericht nicht auseinander.

Jedenfalls in Ihrer Gesamtheit können die aufgezeigten Umstände dafür sprechen, dass der Angeklagte zwar eine Gefährdung des … in sein Bewusstsein aufgenommen, nicht aber eine mögliche Todesfolge erkannt und in seinen Willen aufgenommen hatte (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1, Vorsatz, bedingter 11).

Die Verurteilung wegen Totschlags kann nach alledem keinen Bestand haben.

Über die Sache ist deshalb insgesamt ‐auch hinsichtlich des Adhäsionsanspruchs- neu zu verhandeln und zu entscheiden.

Tepperwien

Maatz

Athing

Ernemann

Sost-Scheible
Ausgefertigt

als Urkundsbeamter der
Geschäftsstelle